Textatelier
BLOG vom: 06.01.2022

Kolumnen: Neues aus der Hebelstraße, Folge V

Autor: Wernfried Hübschmann, Lyriker, Essayist, Hausen im Wiesental

 

Der in Hausen im Wiesental, im „Hebeldorf“ (ein Schelm, wer hier an Werkzeug denkt!) wohnende Schriftsteller Wernfried Hübschmann schreibt seit einigen Monaten regelmäßig unregelmäßig Kolumnen für die lokale „Hausener Woche“. Wir bringen hier die letzten 3 von 15 Kolumnen von 2021. Die erschienenen Texte ergänzen künftig das nachwachsende Textkraut und seine (Stil)Blüten. Viel Vergnügen!

 

Ich wollte doch gar nicht gendern

Über das Elend des grammatischen Geschlechts

War noch was? Ach ja, die Schule hat uns, die LehrerInnen, ElterInnen und KinderInnen wieder fest im Griff. Und Bundestagwahl (die) war auch, Ergebnis bekannt. Und solange die Parteien (die) sich gegenseitig abkanzeln, ist noch nicht ganz klar, wer Kanzler oder Kanzlerin werden wird. Jedenfalls werden Fotos von Olaf Scholz gehandelt, im Fond seines Dienstwagens sitzend, mit angedeuteter Raute. „Menschen auf Rücksitzen“ – das wäre auch ein schöner Filmtitel. Fotos durch regennasse Fensterscheiben verleihen den InsassInnen einen glamourösen Schimmer, etwas Geheimnisvolles, irgendwie auf Zukunft (die) Verweisendes. Also, Badische Zeitung vom 04.10.21: SPD sondiert „konstruktiv“ (man hat sich also ganz schön gefetzt!). Kommentar: „Feind, Todfeind, Parteifreund – die berühmte Steigerung von Franz Josef Strauß passt wieder einmal“. Der Satz bezog sich auf Helmut Kohl. Strauß ist am 03. Oktober 1988 gestorben, ich saß gerade in einem halbleeren Lokal in Regensburg-Stadtamhof vor meiner Leberknödlsuppn. Das Radio verstummte für bange Sekunden. Es wurde klassische Musik gespielt, dann verkündete eine Grabesstimme: Meine Damen und Herren, wir unterbrechen unser Programm, um Ihnen mitzuteilen, dass soeben unser verehrter … Dr. Dr. h.c. – Die Wirtin brach in wildes Schluchzen aus. Der Kini ist tot. Ja, so war das damals. War sonst noch was? Militärische Feiertagsgrüße aus Peking. Der Fliegenpilz (der) ist der Pilz des Jahres 2022, teilt die Deutsche Gesellschaft für Mykologie mit. Hmmm, was will uns das sagen? Die SC-Spieler sind „gelaufen wie die Salzmänner“. Aha. Grünes Kerosin aus Speiseresten. Hallenbaderöffnung ist geglückt. Monster werben für die Biotonne. Hebelpreis digital vergeben. An Sibylle Berg, die coronabedingt nicht persönlich answesend sein konnte. Wo ist der Berg, der meinen Willen versetzt? Oder die Berg? Segen und Leckerlis für einige Tiere. Inzidenz sinkt auf 40,8. Von solchen Zahlen können die Parteien nur träumen. Selbst im Baumarkt sprachpolitische Korrektheit: Füllspachtel Innen. Liebe Heimwerker und Heimwerkerinnen. Schönau schlägt den Spitzenreiter. Wo bleibt hier der Tierschutz? Das waren nur einige Überschriften aus der BZ vom 04. Oktober, dem Tag (der) nach dem Tag der deutschen – Es folgen die Lottozahlen. Ach, das Wichtigste zum Schluss: Helene Fischer (die) ist schwanger. Na, endlich! Wir geben zurück ins Studio.

Nix für ungut! Ihr Wernfried Hübschmann.

 

*

Tausendmal sondiert …

Oder: Atemlos durch die (Hausener) Nacht

Es gibt sinkende und steigende Zahlenwerte. Ein unerbittlich zunehmender Wert ist das eigene Lebensalter. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der jünger wird, außer im Sinne geistiger Vitalität! Im Gegensatz zu den schwankenden Aktienkursen steigt das Lebensalter, immer! Gleichzeitig sinkt die Restspanne der zu erwartenden Verweildauer jener Zeit, „die auf Erden uns gegeben war“, wie der arme Bertolt Brecht sagte. Seltsame Logik. Eine andere Zahl bewegt sich aktuell rasant nach oben: die CTI, die Corona-Tabu-Inzidenz. Das ist die Anzahl derjenigen Personen, die auf keinen Fall über das C-Thema sprechen wollen. Weil sie selbst betroffen waren oder sind. Weil sie genervt sind von den spitzzüngigen Debatten auf allen Kanälen. Weil ohnehin alles den Lauterbach runtergeht. Weil die Menschen ermattet sind von den Pastoral-Performances, den Predigten der Übergangsregierung im RKI. Wie wird die Übergabe der Amtsgeschäfte aussehen vom Robert-Koch-Institut an die buntfröhliche Ampel-Koalition? Bleibt Herr Drosten auf dem Posten? Wird Herr Wieler jetzt subtiler? Klopft Herr Scholz dann auf Holz? Jedenfalls schließe ich mich hiermit der CTI-Fraktion an – und wechsle das Thema. Frage: Was haben Gotthilf Fischer (der mit den Chören), Dietrich Fischer-Dieskau (der mit den Schubert-Liedern) und Helene Fischer (die mit der Atemnot) gemeinsam? Richtig: sie sind NICHT miteinander verwandt. Wir erinnern uns: Helene Fischer ist schwanger und wird diesem demokratiegeschüttelten Land endlich eine Prinzessin oder einen Prinzen schenken, so Gott(hilf) will. Ihre neue Doppel-CD heißt verstörenderweise „Rausch“. Ein sanfter Hinweis darauf, dass es unmöglich ist, diese tremolo-schwangere Musik in nüchternem Zustand zu hören. Frau Fischer lässt die dpa wissen: „Rausch hat für mich persönlich wenig mit Enthemmung zu tun.“ Ein Satz von sphinxhafter Rätseltiefe. Wenn Sie wählen müssten zwischen einer Welt ganz ohne Musik und einer Welt nur mit Helene-Fischer-Songs, wie würden Sie sich entscheiden? Noch haben wir zu dieser Frage keine seriösen Umfragen. Andererseits, um fair zu bleiben: Cover, SoundQualität und Marketing sind bei Frau Fischer vorbildlich professionell. Jedenfalls eine andere Liga als die Berliner Wahlzettelwirtschaft oder das Kostenmanagement bei Stuttgart 31. Was bleibt? Schreib ein flüchtiges „Adieu!“ ans Tor und dann atemlos durch die Hausener Nacht!

Nix für ungut! Ihr Wernfried Hübschmann.

 

*

Scherzhafte Kompromisse

Über das Heitere in der Politik

Neulich las ich in einer oberfränkischen Provinzzeitung (ich hatte in der Gegend beruflich zu tun), dass in Berlin gerade alle Verhandlungspartner „scherzhafte Kompromisse“ eingehen müssten. Genauso stand es da: scherzhaft! Korrekturprogramme sind bekanntlich mit dem Fehlerteufel im Bunde, nicht nur in Berlin. Das waren noch Zeiten, als der Rieger Günter (Tischtennis-Urgestein) eine volle Stelle bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ in Regensburg bekleidete, als Korrektor! Er hat damals auch meine ersten Artikel für den Kultur-Teil der Zeitung gelesen und redigiert. Was aber sind scherzhafte Kompromisse? Die Parteigranden wissen jedenfalls, dass es nun keinen Weg zurück mehr gibt. Die Ampel steht auf GRÜN für die Ampel. Man hat tausendmal sondiert, „vertieft sondiert“, um genau zu sein. Man ist in offizielle Koalitionsverhandlungen „eingetreten“ wie in einen Tempel. Man nähert sich an, lotet aus, erkundet Möglichkeitsräume, wägt ab und verhandelt. Übrigens: wir unterliegen einem Denkfehler, wenn wir glauben, die Dauer der Gespräche würde Einfluss haben auf die Qualität der Ergebnisse. Hat sie nicht! Der entscheidende Aspekt ist die Vertrauensqualität der Gespräche und die Tagfähigkeit der Ergebnisse. Dass lange verhandelt wird, besagt wenig. Man kann sich schnell irren und langsam richtig liegen – und umgekehrt. Rückschlüsse aufgrund der Dauer von Verhandlungen führen in die Wüste. Es würde sich um den negativen „Halo“-Effekt handeln, der ein einzelnes Merkmal zu stark heraushebt, als „Halo“, zu deutsch „Heiligenschein“, der den Blick vernebelt auf das Ganze. Der Glanz der Verpackung sagt nichts über die Qualität des Produkts. Die „Schönheit“ einer Person sagt nichts über die charakterlichen Eigenschaften. Da es also zu „scherzhaften“ Kompromissen gekommen sein soll, ist in der Tat unwahrscheinlich. Kompromisse sind meistens nicht besonders lustig, auch nicht in der Politik. Ob sie „vernünftig“ sind, lässt sich nur nach genauer und vermutlich schmerzhafter Prüfung der Details entscheiden. Warten wir also geduldig ab, was in Berlin ausgebrütet wird. Und wer bitte soll der (oder die) sein mit dem – hallo halo – Heiligenschein?

Nix für ungut! Ihr Wernfried Hübschmann.

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